Kriminalität unter Migranten: "Ich bin mit dem größten Macho klargekommen" - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Politik
10.10.2009
Kriminalität unter Migranten
"Ich bin mit dem größten Macho klargekommen"
Männlichkeitswahn, Vorurteile, Rassismus auf beiden Seiten: Die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig ist den Umgang mit kriminellen Migranten gewohnt. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht sie über geschlossene Gesellschaften mit eigenen Regeln und Wege aus der Misere.
SPIEGEL ONLINE: Frau Heisig, glaubt man
Thilo Sarrazin, sind die Türken dank einer hohen Geburtenrate dabei, Deutschland zu erobern. Ist Berlin-Neukölln schon türkisch oder gilt da noch deutsches Recht?
Kirsten Heisig: Natürlich sorgt der demografische Faktor dafür, dass in manchen Gegenden türkisch- und arabischstämmige Menschen in der Überzahl sind. Nichtsdestotrotz gilt auch hier noch deutsches Recht.
SPIEGEL ONLINE: Sie sagen "noch"?
Heisig: Wenn ich jetzt antworte, schicke ich eines voraus: Ich rede nicht vom türkischen Mittelstand, der weitgehend gut integriert und eine Bereicherung für uns ist. Ich rede von vornehmlich arabischen Straftätern, die bei mir im Gerichtssaal sitzen. Sie und ihre Familien versuchen, sich unserem Recht zu entziehen, in dem sie die Vorfälle in ihrer Volksgruppe klären. Da kommt es zunehmend vor, dass die Hauptverhandlung damit beginnt, dass der Geschädigte erklärt, man wolle die Sache doch untereinander klären, und den Strafantrag zurücknimmt.
SPIEGEL ONLINE: Und Ihre Reaktion?
Heisig: Meine Botschaft ist dann eindeutig: Gefährliche Körperverletzung etwa ist von Amts wegen zu verfolgen. Interne Einigungen - meist durch eine Geldzahlung - sind in der Strafprozessordnung nicht vorgesehen. Es gibt Gruppen, große Clans, die nicht das geringste Interesse daran haben, wie der Rechtsstaat funktioniert. Das dürfen wir nicht hinnehmen.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es eine spezielle Gewalt von Ausländern, die sich von jener deutscher Krimineller grundsätzlich unterscheidet?
Heisig: Nein. Wenn sich das urdeutsche Prekariat im Plattenbau mittels Wodkaflasche den Kopf einschlägt, dann ist das auch nicht schön. Es gibt in den Migranten-Vierteln allerdings eine besondere Ballung von Problemen, aus denen sich Kriminalität speist.
SPIEGEL ONLINE: Ist dies ein soziales oder ethnisches Problem?
Heisig: Da kommt vieles zusammen: einerseits hohe Arbeitslosigkeit, Schul-Distanz und allgemeine Verwahrlosung. Hinzu kommen kulturelle Faktoren: Der Männlichkeitswahn ist bei manchen Türken und Arabern besonders ausgeprägt, Ehre und Respekt sind so irrational entwickelt, dass es schnell zu Gewalt kommt. Prügeln ist in der Erziehung leider eine gängige Praxis. Wenn der Vater den Respekt nicht genießt, weil er arbeitslos ist, dann stellt er ihn durch Schläge her. So wird Gewalt zur Normalität. Es entwickeln sich geschlossene Gesellschaften mit eigenen Regeln. Darin sehe ich eine große Gefahr.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt Ausländerfeindlichkeit bei Deutschen. Gibt es auch das Gegenteil - Deutschenfeindlichkeit von Ausländern?
Heisig: Ja, leider. Es gibt hässliche Vorfälle. Ein Zwölfjähriger beschimpfte eine Mitschülerin als Schlampe, weil sie kein Kopftuch trägt. Ein anderer Angeklagter erklärte gegenüber einem Polizeibeamten: "Du bist Dreck unter meinen Schuhen. Ich ******' auf Deutschland." Jugendliche äußerten gegenüber deutschen Frauen: "Deutsche kann man nur vergasen." Wenn Deutsche sich so gegenüber Ausländern verhalten, dann nennen wir das Rassismus.
SPIEGEL ONLINE: Und umgekehrt?
Heisig: Leider gibt es eine Kultur der Verharmlosung bei uns. Wenn Migranten Deutsche beleidigen, wird dies als Echo auf zuvor erlittene Diskriminierung entschuldigt. Das akzeptiere ich nicht.
SPIEGEL ONLINE: Wie lassen sich die geschlossenen Gesellschaften knacken?
Heisig: In Berlin hat jedes zweite Kind Migrationshintergrund. Wir müssen Bildung für alle Kinder durchsetzen, also auch den Kita-Zugang für alle. Wir dürfen es nicht akzeptieren, wenn Eltern Kindern Bildung verweigern. Dann müssen wir Hilfe anbieten - und notfalls nicht vor Sanktionen zurückschrecken.
SPIEGEL ONLINE: Wie stellen Sie sich das vor?
Heisig: Ich wende geltendes Recht an. Wir haben Schulgesetze, die Bußgelder für Eltern vorsehen, wenn Kinder nicht zur Schule kommen. Wer Kindern den Zugang zur Schule verweigert, der gefährdet laut Familienrecht das Kindeswohl. Wenn das Jugendamt Hilfe anbietet, aber diese nicht angenommen wird, dann ist der Sorgerechtsentzug zu prüfen. Im Strafgesetzbuch ist die Verletzung der Erziehungspflicht eine Kindeswohlgefährdung, also Straftatbestand. Wenn das Kindeswohl gefährdet wird, ist das ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Das ist keine Schikane.
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie, dass solche klaren Signale in den Clans ankämen?
Heisig: Wenn man deutlich macht, dass unser Staat auch Sanktionen bereithält und nicht nur Transferleistungen wie Kindergeld, dann wird sich das rumsprechen. Einerseits sind klare Botschaften von der Justiz gefragt. Andererseits muss ich die Verbände der Migranten als Bündnispartner gewinnen. Da gibt es inzwischen auch einsichtige Leute mit Problembewusstsein. Da rede ich Klartext und stoße nicht auf taube Ohren.
SPIEGEL ONLINE: Wie redet man über dieses heikle Thema, ohne als Ausländerfeind zu gelten?
Heisig: Ich glaube, es geht. Ich jedenfalls setze mich über ideologische Kategorien hinweg. Probleme werden nicht durch Tabuisierung gelöst. Wer Probleme mit Migranten anspricht, darf nicht automatisch als rechtsradikal gelten.
SPIEGEL ONLINE: Ist es zulässig, Kriminalstatistik nach Ethnien aufzubereiten?
Heisig: Das bringt uns doch der Lösung näher. Es gibt eben Kulturkreise mit großen Problemen. Warum sollte man das verschweigen? Das Wort Ausländerkriminalität hat sich allerdings schon dadurch verbraucht, dass viele Straftäter längst Deutsche sind.
SPIEGEL ONLINE: Werden Sie als Richterin von Arabern und Türken akzeptiert?
Heisig: Ich bin bisher selbst mit dem größten Macho klargekommen.
Das Interview führte Stefan Berg