@phoserx: Ich teile Deine Einschätzungen auf weiten Strecken. Nichts desto trotz ist man als "Nichtgläubiger" doch gezwungen sich mit dem Glauben der anderen auseinanderzusetzen, einfach weil es so viele sind, die an irgendwas glauben. Mir sind auch keine größeren Gesellschaftsformen bekannt, die gar keinen Glauben, also zumindest auf dem Papier, haben.
Ich habe den Eindruck, dass der Glaube umso mehr Zustrom erfährt, je schlechter es den Menschen geht. Offenbar ist der Glaube ein brauchbares Vehikel, um widrige Lebensumstände erträglicher zu machen. Mit steigendem gesellschaflichem Wohlergehen scheint sich der Zustrom zu den Religionsgemeinschaften dann wieder ins Gegenteil zu verkehren. Wenn das alles so ist, finde ich es - per se - nicht so schlecht, weil es hiezu wenige Alternativen geben dürfte, und zwar völlig unabhängig von irgendwelchen transzendenten Wesen.
Eng damit verknüpft empfinde ich die generelle seelsorgerische Tätigkeit, auf der einen Seite problematisch, weil immer irgendwie missionarische Gehirnwäsche dabei ist, auf der anderen Seite durchaus positiv, weil hier Menschen eine Art psychotherpeutische Zuwendung in ihren Nöten erfahren, die sie sich sonst vielleicht gar nicht leisten könnten. Nun mag man einwenden, dass diese Aufgabe auch ein paar gute Freunde übernehmen könnten, und das ganz ohne permanente Verkündung des Paradieses. Allerdings stelle ich oft auch selbst fest, dass man in der Not nur allzu schnell im Regen steht und auch von vermeintlich guten Freunden im Stich gelassen wird.
Weiters scheint mir die karitative Komponente, zumindest der christlichen Religionsgemeinschaften, eine wesentliche zu sein. Nach all den Skandalen in den letzten Jahrzehnten, von privaten Gesellschaften, die Hilfsgelder verwaltet und verteilt haben, glaube ich, dass dort im Schnitt nicht viel mehr als ein einstelliger Prozentsatz der gespendeten Summe bei den Adressaten wirklich ankommt. Der Rest wird entweder gleich abgezweigt, oder geht in völlig übertriebenen Verwaltungshonoraren auf. Das dürfte beispielsweise bei der Caritas deutlich besser sein.
Die Gefahren, die von den Kirchen ausgehen, die permanente Einmischung in die Politik, die missionarische Grundhaltung, die Bevormundung der Mitglieder etc., etc., nahmen in den letzten 2000 Jahren deutlich ab. Heute ist die Trennung von Kirche und Staat, also zumindest in Europa, einigermaßen vollzogen, wiewohl mir natürlich schon bewusst ist, dass es sich die konservativen politischen Parteien immer noch nicht vekneifen könnnen immer wieder auf ihre christlichen Fundamente zu verweisen.
Schlussendlich stellt sich für mich die Frage, ob man mit den Religionsgemeinschaften, als sich diesen nicht zugehörig fühlend, nicht doch kooperieren sollte, statt sie zu bekämpfen, weil die Vorteile für die Gesellschaft durchaus vorhanden sind und man sie vermutlich nie ganz verhindern, oder abschaffen wird können, weil eben der Mensch, insbesonders in der Gruppe, dazu neigt irrationale Dinge, die er nicht versteht, einer höheren Macht zuzuschreiben, um damit besser umgehen zu können.
Mir drängt sich da manchmal ein Vergleich mit der Homöopathie auf. Die ist, in meinen Augen, reine Scharlatanerie. Wenn jemand allerdings daran glaubt, dann kann das sehr wohl positive Effekte haben, weil nämlich der Körper selbst die richtigen Maßnahmen ergreift, sobald eine positive Grundhaltung da ist, nicht zuletzt, weil die Homöopathen üblicherweise deutlich mehr Zeit und Zuwendung, als die Schulmediziner in ihr Klientel investieren. So gesehen hat auch die Homöopathie durchaus ihre Daseinsberechtigung.