Zu Zeiten, wo ich noch keine eigenen Strumpfhosen besaß und mir diese noch von meiner Schwester "borgte", hatte ich einmal eine rote Strickstrumpfhose wieder aus dem Altkleidersack gefischt. Es handelte sich um eine dieser Polyacrylstrumpfhosen, wie sie damals gerne verkauft wurden. Sie war schon etwas verschlissen, weshalb meine Schwester bzw. Meine Mutter sie ja auch aussortierten. Am großen Zeh klaffte leider bereits ein Loch. Das störte mich zwar ein wenig, aber eine solche Strumpfhose war noch immer besser als gar keine Strumpfhose.
Als diese allerdings immer kleiner oder besser gesagt, ich immer größer wurde, musste ich mein "schneiderisches Talent" bemühen. Ich verwandelte die Strumpfhose in eine Art Leggins oder Steghose, wie sie damals bei Frauen modern waren. Dazu musste ich die mittlerweile ziemlich lädierten Füße abschneiden. Trotz der vielen Löcher fiel mir das nicht leicht. Eine Strumpfhose ohne Füße ist für mich nun mal keine richtige Strumpfhose mehr. Auch damals schon. An Stelle der Füße traten zwei Gummibänder, die ich an den Enden der Beine festnähte. Obwohl dieses Konstrukt nun keine richtige Strumpfhose mehr war, konnte ich sie doch wenigstens noch anziehen und an den Beinen hatte sich der Anblick ja nicht verändert. Jetzt war es mir sogar wieder möglich, sie bis in den Schritt hochzuziehen, was mit der zu kleinen Strumpfhose nicht mehr wirklich gelang und so natürlich auch den Tragekomfort einschränkte.
Diese vermeintliche „Strumpfhose", trug ich gerne und wann immer sich Gelegenheit ergab. Es war Wochenende. Meine Schwester war wieder einmal nicht zuhause und so hatte ich in meinem Zimmer freies Spiel und konnte unbefangen meine "Strumpfhose" tragen. Gegen Mittag rief mich meine Mutter dann zum Essen nach unten. Ich beschloss sicherheitshalber die Strumpfhose wieder auszuziehen, auch wenn sie unter meiner Hose kaum auffallen würde und verstaute sie erst einmal unter meiner Bettdecke. Nach dem Essen konnte ich sie ja wieder anziehen. Allerdings kam es nicht gleich dazu und ich war erst am Nachmittag wieder in meinem Zimmer. Ich war abgelenkt und die Strumpfhose unter meiner Decke, hatte ich in dem Augenblick vergessen. In der Zwischenzeit war auch meine Schwester wieder zuhause. Irgendwann kam sie zu mir ins Zimmer und setzte sich auf mein Bett. Aus irgendeinem Grund – vielleicht war es Zufall, vielleicht hatte sie auch etwas rascheln gehört, denn neben der Strumpfhose lag auch noch ein aus Gefrierbeuteln selbst gemachtes Plastikhöschen unter Decke. Aber das ist eine andere Geschichte, die nicht hierher gehört.. Auf jeden Fall schlug Sie meine Bettdecke auf. Natürlich lagen auch jetzt darunter noch immer die rote Strumpfhose und eben diese selbst gemachte Plastikhose, die ich ebenfalls vor dem Mittagessen dort versteckt hatte. Jetzt fiel auch mir das natürlich wieder ein. Alles ging aber so schnell, dass ich nichts mehr dagegen unternehmen konnte. Als wäre es nicht genug gewesen, dass sie dieses vermaledeite Höschen dort fand – nein, es war die alte, rote Strumpfhose, die dort ebenfalls lag und die einmal ihr gehörte. Zumindest lag dort das, was von der ursprünglichen Strumpfhose noch übrig war. Dennoch musste sie diese wieder erkannt haben. Mir rutschte das Herz in die Hose. Jetzt musste ich mir schnell etwas einfallen lassen, wie ich die Situation erklären konnte. Meine Schwester fragte natürlich, was das sei und deutete dabei auf die beiden seltsam anmutenden Gegenstände. Ich glaube nicht, dass sie so schnell gesehen hat, dass die Strumpfhose umgearbeitet war, zumal sie diese nicht anfasste. Auch das Plastikgebilde, welches dort lag, dürfte sie in diesem Augenblick nicht als Hose erkannt haben. Ich suchte panisch weiter nach einer plausiblen Ausrede, doch mir fiel so schnell nichts sinnvolles ein. War ich jetzt aufgeflogen? Was sollte ich in so einem Moment sagen? Musste ich ihr jetzt die Wahrheit sagen...? Wie würde sie von mir denken...? Wie würden meine Eltern von mir denken, denen sie es sicher erzählen würde...? Ich war komplett geschockt. Ein Gefühl von Angst, Verzweiflung und Wut machte sich in mir breit. Dann formte mein Gehirn endlich wieder einen brauchbaren Gedanken. Es war nicht die brillante Idee, die alles erklären würde und jeglichen Verdacht von mir abfallen ließ, davon war ich überzeugt. Aber ich war froh, dass ich überhaupt irgendeine Idee hatte. So erzählte ich ihr – und versuchte, dass es trotz meiner Aufregung mehr beiläufig und unbedeutend wirkte – dass es sich lediglich um einen Putzlappen handeln würde. Das fusselfreie Material würde sich hervorragend zur Reinigung der Linsen meines Mikroskops eignen. Aus diesem Grund hätte ich mir die Strumpfhose aus dem Altkleidersack geholt. Da wir schon beim Mikroskop waren, verkaufte ich ihr die Plastikhose dann auch gleich als Abdeckung für mein Mikroskop. Ich hatte nur einen Gedanken: „Hoffentlich hat sie es geglaubt!" und hoffentlich würde sie die Dinge dort liegen lassen, wo sie lagen. Würde sie sie hochnehmen, musste sie erkennen, dass die Dinge tatsächlich ganz anders lagen.
Meine Schwester nahm meine Erklärungen glücklicherweise so hin und sagte nichts weiter dazu. Keine Nachfragen, keine ungläubigen Blicke. Ich hatte unheimliches Glück und war anscheinen tatsächlich noch einmal davon gekommen ohne weitere peinliche Erklärungen über mich ergehen lassen zu müssen. Schnell ließ ich die beiden Dinge verschwinden, um eine nachträgliche Identifizierung zu verhindern und achtete künftig noch sorgfältiger darauf, so private Sachen sicher zu verstecken.