Vor vielen Jahren hat mich meine damalige Freundin mal in Strumpfhosen erwischt ... fast ... bzw. indirekt ... es ist kompliziert ...

Es war zu der Zeit, als ich mich selbst verstehen wollte. Ich wusste, dass ich Strumpfhosen toll finde, aber ich wusste nicht warum bzw. was das für mich bedeutet. Bin ich trans? Bin ich schwul? Bin ich pervers oder ist es der Reiz des Verbotenen? Heute hätte ich viele passende Antworten und Labels dafür, aber vor einem knappen Vierteljahrhundert war ich ziemlich unwissend, was das Thema SH bei mir angeht und ich habe mich als Mensch daher selber in Frage gestellt, eben weil ich gefühlt noch mehr "anders" war als die, die schon "anders sind".

Vielleicht war es blöd, dass ich zu der Zeit in einer Beziehung steckte, aber die Idee der Hochzeit stand im Raum (wir wohnten schon einige Zeit zusammen) und ich wollte die Frage "Wer oder was bin ich?" für mich vorher klar haben - wollte mich selbst verstehen. Also habe ich heimlich herumprobiert. Unter anderem wollte ich ausprobieren, ob ich unbewusst eine Frau bin oder sein wollte - immerhin übten Strumpfhosen als weiblich konnotierte Kleidung eine besondere Anziehung auf mich aus. Ich habe dann auf einer mehrtägigen Weiterbildung in Hamburg abends Rock und Stiefeletten mit Absatz (die ich mir vorher heimlich besorgt hatte) zu einer Strumpfhosen getragen. Ich wollte in mich rein horchen, ob mir die Kleidung irgendwas "gibt" bzw. sagen will - wollte wissen, wie ich mich darin fühle.

Zusätzlich wollte ich das Outfit auf Foto festhalten. Ich wollte später nochmal die Möglichkeit haben, die Erfahrung reflektieren zu können, denn ich war mir durchaus bewusst, dass ich an den besagten Abenden sicher viel zu nervös bin, um objektiv eine "Entscheidung" zu treffen. Handys haben zu der Zeit aber keine brauchbaren Fotos gemacht und ich wollte nicht die "Familien-Kamera" mitnehmen, denn deren Fehlen wäre daheim vielleicht aufgefallen. Daher habe ich mir eine Einweg-Kamera besorgt, die man relativ anonym überall zum Entwickeln weggeben konnte.

Neben den typischen selbstgemachten "Beinbildern" habe ich auch mal all meinen Mut zusammen genommen und einen Passanten gefragt, ob er mich fotografieren könne. Ich hatte irgendeine Ausrede für das Outfit - es sei eine Wette oder Mutprobe oder so und ich bräuchte einen Foto-Beweis dafür, dass ich die Klamotten getragen hätte.

Wieder daheim habe ich die Fotos entwickeln lassen und einige Tage später auf dem Heimweg nach der Arbeit abgeholt. Ich war mega nervös als ich am Schreibtisch saß und die Fotos mit zitternden Händen aus dem Umschlag geholt habe. Im Kopf wieder die Frage "Mache ich grade was Verbotenes"? Ich wurde etwas ruhiger und konnte angefangen, die Fotos zu sortieren. Einige waren sehr verwackelt, die wollte ich entsorgen. Aber eine Handvoll Aufnahmen gefielen mir doch, die wollte ich behalten.

Nach und nach wurde ich noch etwas ruhiger, bis ... ja, bis im Schloss der Wohnungstür ein Schlüssel klapperte. Sofort fing ich an, die verteilten Fotos einzusammeln und in das Kuvert zu stopfen. Aber es klappte nicht so schnell wie es nötig gewesen wäre und weil es von der Haustür bis zum Schreibtisch im Büro keine 4 Meter waren und die Bürotür gegenüber der Haustür offen stand, hat meine Freundin, die ungeplant früher frei bekommen hatte, doch mitbekommen, wie ich "etwas" in ein Fach vom Schreibtisch-Aufbau gepfeffert habe.

Sie fragte direkt sowas wie "Was machst Du denn da?" Ich stand aber komplett neben mir und anstatt zu sagen "Schatz - das darfst Du noch nicht sehen, das wird eine Überraschung für Dich!" habe ich keinen sinnvollen Ton herausbekommen und musste zusehen, wie meine Freundin die Fotos findet.

Der Haussegen hing erstmal ziemlich schief ... fast senkrecht ... und es folgten viele Gespräche. Meine Freundin war von mir sehr enttäuscht - aber nicht (!!!) weil ich heimlich Strumpfhosen getragen habe, sondern weil ich mich ihr nicht vorher mit meiner Unsicherheit anvertraut hatte. In vielen Gesprächen hatte ich dann versucht, den Vertrauensbruch wieder zu "kitten". Ich muss meiner Freundin auch hoch anrechnen, dass sie wirklich versucht hat, sich dem Thema anzunähern, war mit mir auch bei einer Beratungsstelle.

Später haben wir geheiratet und zwei tolle Kinder bekommen. Das Thema "Strumpfhosen" stand aber irgendwie immer zwischen uns. WEIL sie die SH auch nach Jahren noch mit dem Vertrauensbruch in Verbindung gebracht hat, mir aber entgegen kommen wollte, hat sie mir erlaubt, SH zu tragen - aber nur, wenn sie es nicht unbedingt mitbekommt, also z.B. auf Dienstreisen oder wenn sie abends mit ihren Mädels unterwegs war. Es war also eine Art "legal heimlich" und für mich ein Kompromiss, den ich eingehen konnte. Nach einigen Jahren haben wir uns dann aber aus anderen Gründen getrennt.

Ich wusste inzwischen, was und wer ich bin. Ich wusste, dass Strumpfhosen weder meine geschlechtliche Identität noch meine sexuelle Orientierung bestimmen. Aber eben weil ich nicht noch einmal den gleichen Fehler machen wollte, hatte ich meiner nächsten Freundin dann bereits VOR dem ersten offiziellen Date von meiner Vorliebe für Strumpfhosen erzählt. Klar war sie anfangs vorsichtig - sie hatte bereits einen Sohn und wollte damit keine "Tarn-Freundin" z.B. eines Schwulen sein. Und so folgten auch mit Ihr viele Gespräche über das Thema SH und was sie für mich sind und was sie nicht sind. Inzwischen sind wir gut 12 Jahren zusammen und seit fast 6 Jahren verheiratet ...


Das ist ein Teil meiner Geschichte, den ich an anderer Stelle bei z.B. Vorstellungen gerne als "meine Ex-Frau hat mich in SH erwischt" zusammenfasse. Vielleicht hätte ich sie besser in dem ein oder anderen Thread posten können, aber letztlich passt sie hier doch irgendwie thematisch ganz gut rein ...
 
Vielen Dank für diese sehr gut und spannend beschriebenen Begebenheiten, @dr.tights. Ich konnte mich sehr gut in deine prickelnden Situationen versetzen. Es tut mir leid, dass deine Leidenschaft für Strumpfhosen von deiner ersten Frau so "hoch gehängt" wurde. Schließlich hat doch jede(r) irgendein kleines, pikantes Geheimnis, über das man nicht gerne spricht und das man nicht wie eine Monstranz vor sich her trägt. Glücklicherweise hat deine zweite Frau sehr verständnisvoll und souverän reagiert. Generell sollte dieses Thema Strumpfhosen in Beziehungen nicht eine solch belastende Bedeutung gewinnen. Man sucht sich solche Neigungen schließlich ja nicht aus. Das sollte man seinem Partner durchaus auch offensiv klarmachen. Es besteht hier keinerlei Schuld.
 
Das sollte man seinem Partner durchaus auch offensiv klarmachen. Es besteht hier keinerlei Schuld.
Sehr stimmig und wohl auch aus meiner Sicht wahr.
NUR, wenn ich selbst mir gegenüber noch nicht soweit bin, das eingeordnet und akzeptiert zu haben, wie soll ich das dann offensiv klarmachen?

Wenn ich glaube, falsch zu sein, kann ich niemandem klar machen, dass ich doch eigentlich nur anders bin.
Wollte ich nur mal so angemerkt haben.
 
Sehr stimmig und wohl auch aus meiner Sicht wahr.
NUR, wenn ich selbst mir gegenüber noch nicht soweit bin, das eingeordnet und akzeptiert zu haben, wie soll ich das dann offensiv klarmachen?

Wenn ich glaube, falsch zu sein, kann ich niemandem klar machen, dass ich doch eigentlich nur anders bin.
Wollte ich nur mal so angemerkt haben.
Natürlich war ich einige Jahrzehnte seit dem ersten Mal in Strumpfhose auch nicht so weit, meine Neigung offensiv und selbstbewusst zu verteidigen. Aber irgendwann musst du dir klarmachen, dass dein Leben endlich ist und lernen, dich mit all deinen Facetten zu akzeptieren. Es ist nicht falsch, als Mann Strumpfhosen zu lieben und zu tragen. Was soll denn daran so schlimm sein? Bitte übernehme nicht die Mehrheitsmeinung, dass ein solches Verhalten schräg, falsch und verurteilungswürdig sei. Es ist dein Leben und du tust niemandem weh indem du Strumpfhosen trägst. Diese Leidenschaft gehört zu dir und es ist etwas das dich ausmacht.
 
Schließlich hat doch jede(r) irgendein kleines, pikantes Geheimnis, über das man nicht gerne spricht und das man nicht wie eine Monstranz vor sich her trägt.

Ich nicht.

Dafür habe ich viel zu oft erlebt, wie Geheimnisse eine Beziehung vergiften.
Seltenst geht es dabei um das Geheimnis an sich, sondern immer um die Mittel, die angewendet werden, um es zu verschleiern.

So abgedroschen der Spruch auch ist: Vertrauen ist das wichtigste.

Ich bin absolut beschädigte Ware, sehr umtriebig und nicht leicht zu händeln.
All diese Dinge gehen meinen Partner etwas an!
Er verdient das ganze Paket, nicht nur den schönen Schein.

Schließlich will ich mich auch in schweren Zeiten auf ihn verlassen können und das beinhaltet, dass er in einem frühen Stadium alles um die Ohren gekriegt hat, worauf er sich da einlässt.
Für die guten Zeiten findet man an jeder Ecke jemanden.

Abgesehen davon wäre alles andere Zeitverschwendung gewesen.


SiSi <--- definitely not everybody's darling
 
Ich bin absolut beschädigte Ware, sehr umtriebig und nicht leicht zu händeln.
All diese Dinge gehen meinen Partner etwas an!
Er verdient das ganze Paket, nicht nur den schönen Schein.
Ich bin grundsätzlich deiner Meinung. Vertrauen ist sehr wichtig in einer Ehe bzw. Beziehung, wenn es eine wirklich gute Partnerschaft sein soll. Eine vorheriges "Geständnis" ist daher nach meiner Auffassung geboten, wenn es sich um ein gewichtiges, bedeutendes Geheimnis handelt, von dem man auch stark vermutet, dass es für den Partner eine große Bedeutung haben könnte. Wenn es sich aber nur um das gelegentliche Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts handelt, so würde ich das relativieren und davon abhängig machen wen man als Person vor sich hat. Im Laufe einer Ehe kennt man seinen Gegenüber ja schon sehr gut und kann in etwa einschätzen wie die Reaktionen ausfallen können, wenn man sich z. B. hinsichtlich seiner Leidenschaft für Strumpfhosen "outet". In manchen, vielleicht sogar in den meisten Fällen könnte es besser sein wenn man das für sich behält, da sich hinterher die Machtverhältnisse in einer Ehe zu Lasten des "Beichtenden" verschieben können. Ja, dass dann überhaupt erst ein "Machtverhältnis" entstehen könnte.
 
Wenn es sich aber nur um das gelegentliche Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts handelt, so würde ich das relativieren ...
Wobei sich dann aber doch die Frage stellt, warum man so etwas, nach deiner Einschätzung, Unwesentliches verheimlicht?
In meinen Augen verleiht gerade die Tatsache, dass ich etwas verheimlichen, nicht (mit-)teilen möchte, dem Geheimnis eine große Bedeutung.

Da könnte sich schon bei der oder demjenigen, der/dem diese Nichtigkeit vorenthalten wird, die Frage aufdrängen, "Wenn er/sie schon DAS nicht mit mir teilen möchte, wie stehen wir dann eigentlich zueinander?".

Ich bin da eher bei @Silky_Sin , eine Schönwetter-Partnerschaft hat zwar gewisse Vorteile, bleibt dann aber auch immer in einer gewissen Distanz.
Ob man das dann möchte oder nicht, bleibt natürlich immer jeder einzelnen überlassen, aber zwischen zwei PartnerInnen sollte da schon Einigkeit herrschen, was wiederum schwierig wird, wenn Heimlichkeiten bestehen.

Tja, wir werden auch heute nicht die Antwort auf die große Frage nach der Welt, dem Universum und einfach allem finden...