Das ist ja mal eine ganz "neue" Diskussion *g*. Ich finde es immer wieder interessant, wie alte "Argumente" immer wieder neu ausgetauscht und wieviel Klischees dabei verwendet werden.
Man kann sich natürlich beschweren bis man umfällt, dass Männer nicht alles anziehen dürfen, was Frauen tragen. Einmal abgesehen davon, dass dies faktisch falsch ist ( es wurde ja darauf hingewiesen, dass es kein Gesetz gibt, welches Männer das Tragen von Frauensachen verbietet ), ist das auch keine Frage, was man darf, sondern was man tut. Es gibt hier einige Männer, die mehr oder weniger offen Strumpfhosen tragen oder Röcke oder was auch immer und durchaus gute Erfahrung damit gemacht haben. Ergo: Es ist schonmal möglich, als Mann Frauenkleidung anzuziehen.
Natürlich gibt es gesellschaftliche Anschauungen, wie Männer und Frauen sich anzukleiden haben. Das erklärt sich aus meiner Sicht aber weder durch anatomische Unterschiede noch durch die Art, wie Männer und Frauen sich bewegen, sitzen oder gestikulieren. Es sind gewachsene Strukturen und die Art der Bekleidung hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert. Auch unterscheidet sich die Kleidung von Kultur zu Kultur. Die Unterschiede in der Kleidung hat auch sehr viel mit den verschiedenen Rollen der Geschlechter zu tun.
Letztendlich ist es doch so, wir brauchen als Menschen - die einen mehr, die anderen weniger - eine Anzahl von Merkmalen und/oder Schubladen, wie wir Mann und Frau unterscheiden können. Dies dient u.a. auch dazu, dass wir uns selbst einordnen und definieren können. Was natürlich in Wirklichkeit nichts nutzt, denn wie bringt mich in meinem Leben die Erkenntnis, dass ich einwandfrei Mann oder Frau bin, wirklich weiter? Das sind doch alles künstliche Krücken ohne wahre Bedeutung.
Tatsächlich haben Mann und Frau in der Regel einen unterschiedlichen Körperbau. Alles weitere, was wir zu den Unterschieden zählen, ist entweder durch die Erziehung oder die Gesellschaftsform und ihre Normen und Regeln entstanden. Der Rest ist der Austausch von Klischees. Man kann sich ja mal versuchen vorzustellen, man wäre in einer Welt aufgewachsen, in der die Bekleidungsregeln, so wie wir sie kennen, genau umgedreht wären. Wenn wir nichts anderes kennen würden, wäre das normal und keiner würde komisch schauen.
So entwertet sich für mich auch das Argument, dass Männer und Frauen andere Körperformen haben und die Kleidung dementsprechend figurbezogen ist und dem anderen Geschlecht schlecht zu Gesicht steht. Jemand schrieb hier ganz richtig, dass man Kleidung an jegliche Figur anpassen kann. Und wenn man es zb nicht anders kennen würde, dass Männer Röcke tragen und vielleicht rasierte Beine haben, dann würde man sicherlich nicht auf die Idee kommen, diese Form der Bekleidung zu bemängeln.
Die Ansicht, dass Männer und Frauen unterschiedlich gehen, sitzen und gestikulieren, sagt für mich nichts aus darüber, was sie anziehen sollen/können. Zumal sich auch da immer mehr annähert. Disqualifiziert sich denn ein Mann, der wie ein Mann geht, dafür, dass er Strumpfhosen tragen kann? Gehen Frauen wirklich genau so, dass es sich geradezu aufdrängt, dass sie und nur sie Strumpfhosen tragen können? Kann ein Mann mit einer guten Figur nicht prinzipiell in einem Kleid gut aussehen? Und kann eine Frau nicht in Hosen, Sweatshirt und Turnschuhen ein Augenschnaus sein?
Soviel mal zum theoretischen.
Praktisch ist die Welt natürlich so, wie sie ist. Die Unterschiede werden gemacht und sie sind drin in unseren Köpfen. Und die meisten stellen dies nicht im geringsten in Frage. Zum einen sehen sie dafür garkeinen Anlass, denn sie sind zufrieden damit, wie es ist. Zum anderen bedeutet jede Veränderung und Verschiebung der Geschlechterdefinierung, der Geschlechterrollen und der geschlechtspezifischen Bekleidung eine mögliche Neubewertung eines Teils unserer Weltanschauung und mitunter eine Bedrohung für unsere eigene Rolle und Position. Wer sägt denn am eigenen Stuhl, wenn es sich doch so bequem darauf sitzt?
Wer aus so einer Welt ausbrechen möchte, der muss zuerst einmal selbst die Schranken im eigenen Kopf einreissen. Und hier möchte ich nurmal bemerken, dass ich es unzählige Male hier erlebt habe, wie Männer Toleranz für sich einforderten, welche sie an der nächstbesten Stelle aber selbst nichtmal ansatzweise zu geben bereit waren.
Ich bin natürlich auch das Kind meiner eigenen Erziehung und meiner Umwelt und so habe ich auch erst langsam lernen müssen, dass ich nicht nur einfordern kann, dass ich anziehen kann, was ich will. Ich muss umgekehrt auch anerkennen und akzeptieren, dass es alle anderen auch dürfen. Mir muss das nicht immer gefallen so wie es anderen auch nicht an mir gefallen muss. Ein Paradebespiel für mich ist Frau von der Leyen, die aus meiner Sicht eine Frau ist, die sich täglich wie ein Mann anzieht. Aber sie hat auch jedes Recht dazu und selbst wenn es mir nicht gefällt, so ist sie für mich eine Frau, die eben das anzieht, was sie mag. Und das habe ich so hinzunehmen. Dazu würde ich nie auf die Idee kommen, sie deswegen als unweiblich zu bezeichnen.
Männlich wirken, weiblich wirken, unmännlich sein, unweiblich sein, herrje, was sind wir kleinkariert. Wieviel freier sind wir, wenn wir uns dieser Begriffe so weit wie möglich entledigen. Wie bequem und einfach könnte eine Welt sein, in der sich nicht jeder ständig als Mann oder Frau beweisen müsste. In der es keine Quotenregelungen geben müsste, weil es sch...egal ist, was wir sind.
Ich versuche, den ganzen Mist zu vergessen. Das gelingt mir mal besser und mal schlechter. Aber ich arbeite stetig daran.
Ich habe für mich beschlossen, dass ich anziehe, was ich will. Dazu gehört es, dass ich Feinstrümpfe trage. Ich kaufe sie ganz offen ein, ich trage sie so, wie ich es mag. Und ich stehe dazu, wenn es jemand sieht. Entscheidend ist es aber, dass ich nicht nur darüber diskutiere, sondern dass ich es seit 19 Jahren so mache. Und dank des Selbstbewusstseins dabei bekomme ich auch keine unangenehmen Kommentare.
Wenn man auf eine gewisse Art leben möchte, dann kann das einem keiner abnehmen. Man muss schon selbst den Hintern hochbekommen.