Meine Erfahrungen vom Fasching und die Konsequenzen

bernie

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Hi Leute,

wollte Euch kurz von meinen Erfahrungen berichten, die ich am Fasching gemacht habe.
Wie vor einiger Zeit in einem anderen Thread beschrieben, hatte ich vor, als Versuch mich am Fasching als Frau (mit Faschingsmaskerade) zu stylen und so meine Wirkung zu testen. Dafür habe ich im Vorfeld mich informiert, was ich für eine perfekte Verwandlung alles beachten muss und lange davor mich schon vorbereitet.
Es sollte möglichst perfekt werden. Dazu gehört ein gutes Make up, wie Bartschattenabdeckung, Konturierung mittels Highlighter etc. Dann habe ich mir eine Polsterhose gekauft, hohe Schuhe, eine Hexenperücke und Hexenkleid, und Utensilien für ein schönes Dekollete mittels selbstklebenden Silikon-Push up etc.
Am Abend der Party habe ich mich also gestylt wie schon oft geübt, war auch schon fertig, und dann kam doch alles etwas anders.
Irgendwie habe ich mich nicht wohlgefühlt, alles mögliche ging mir durch den Kopf...was wenn....vor allem das Dekollete war mir ein Schritt zu viel Weiblichkeit, das zu meiner Einstellung nicht passen wollte.
Zum Glück hat dann der Silikon-Push-up nicht so gehalten wie ich es mir vorgestellt habe, nachdem ich zu schwitzen begonnen habe. Und dann habe ich umdisponiert. Make-up und Perücke hab ich so gelassen, allerdings das Kleid und das nicht mehr vorhandene Dekollete mussten weichen und ich habe ein T-shirt und meinen langen schwarzen Männerrock und Stiefel angezogen. Anschließend war ich absolut erleichtert.
Irgendwie konnte ich mich nicht anfreunden mit dem Gedanken, dass ich weibliche Geschlechtsmerkmale vortäusche, nicht mal mit der Rechtfertigung, es wäre doch Fasching.
Das war schon mal die erste wichtige Erfahrung an dem Abend. Eigentlich will ich nichts Weibliches an mir vortäuschen, ich will einfach nur tragen (dürfen), was ich will. Wie die Umwelt mich dann wahrnimmt, als Mann, Frau oder Es, ist wieder ein anderes Thema.
Erste Konsequenz für mich, Crossdressing in Verbindung mit Vortäuschung von weiblichen Geschlechtsmerkmalen (Brüste) ist nichts für mich. Was ich für mich erreichen will, ist der androgyne Look als Mann. Und den hatte ich in dem Moment, als ich das weibliche Dekollete abgelegt hatte, erreicht.
Fortsetzung folgt, welche Erfahrungen ich am Abend auf der Party machte.

Bernie
 
Wenn die Phantasie zur Realität wird, relativieren sich die Phantasien oft um einige Nuancen und man bekommt erst jetzt mit was man eigentlich wirklich will.
Dazu muss man aber oft erstmal was ausprobieren und auch den ein oder anderen Fehler machen und daraus lernen.
In diesen Sinne gratuliere ich dir herzlich zu deiner neu gewonnenen Selbsterkenntnis.
 
Zuletzt bearbeitet:
Auch von mir Gratulation zu der gewonnen Erkenntnis - und herzlichen Dank für die gut nachvollziehbare, knackige Schilderung hier! :)
 
... Eigentlich will ich nichts Weibliches an mir vortäuschen, ich will einfach nur tragen (dürfen), was ich will. Wie die Umwelt mich dann wahrnimmt, als Mann, Frau oder Es, ist wieder ein anderes Thema.
Erste Konsequenz für mich, Crossdressing in Verbindung mit Vortäuschung von weiblichen Geschlechtsmerkmalen (Brüste) ist nichts für mich. Was ich für mich erreichen will, ist der androgyne Look als Mann. ...
Bernie

Danke, Bernie!!

ich kann GANZ GENAU nachvollziehen, wie du dich geühlt haben musst, denn diese Erfahrung habe ich auch gemacht. Auch ich möchte mich nicht hinter Brüsten, Perücken, oder sonstigen "weiblichen" Attributen verstecken! Ich möchte -genau wie du- einfach nur tragen "dürfen" was ich möchte! Natürlich "darf" ich auch als Mann Rock, High-Heels, Nylons etc. tragen, da es kein Gesetz dagegen gibt, sondern mir dieses "Recht" sogar durch das Gleichstellungsgesetz garantiert wird. Natürlich ist das Bewusstsein, nichts Verbotenes zu tun, durchaus hilfreich, allerdings nicht in der direkten Konfrontation mit der Öffentlichkeit... Hier muss erst ein Umdenkprozess einsetzen, der meines Erachtens erst im zartesten Ansatz erkennbar ist. Ob wir es allerdings zu unseren Lebzeiten noch erleben dürfen, das ein Mann sich in aller Selbstverständlichkeit so kleiden und "pflegen" (Kosmetik, lackierte Fingernägel, etc.) darf, wie er es möchte, wage ich zu bezweifeln. Wobei natürlich auch noch zu beachten wäre, dass nur ein minimaler Prozentsatz der Männer überhaupt das Bedürfniss verspürt, eben das zu tun! Für die meisten Männer ist der Gedanke an Nylons, Rock, etc. am eigenen Körper genauso fremd, wie die Vorstellung, plötzlich auf dem Mars leben zu müssen.

Um diesen Prozeß des Umdenkens überhaupt zu initiieren, bzw. zu verstärken, sollten wir uns also keinesfalls verstecken, sondern dafür sorgen, das das Bild des rocktragenden Mannes auf unseren Strassen häufiger wird, denn nur so wird es ganz langsam auch zur Normalität...

In diesem Sinne liebe Grüße an die Gemeinde, Highwalker <-- der zwar Wein predigt, aber meistens höchsten ne Schorle trinkt! :unsure:
 
... Um diesen Prozeß des Umdenkens überhaupt zu initiieren, bzw. zu verstärken, sollten wir uns also keinesfalls verstecken, sondern dafür sorgen, das das Bild des rocktragenden Mannes auf unseren Strassen häufiger wird, denn nur so wird es ganz langsam auch zur Normalität...

In diesem Sinne liebe Grüße an die Gemeinde, Highwalker <-- der zwar Wein predigt, aber meistens höchsten ne Schorle trinkt! :unsure:

Ich weiß nicht genau ob das möglicherweise schon ein zu sehr "politischer" Anspruch ist, obwohl ich mit deinen Ziel absolut übereinstimme.
Möglicherweise reicht es aus, wenn ich versuche in meinem Umfeld eine Lebenshaltung zu entwickeln und zu verankern, in der meine Mitmenschen (vor allen auch meine Mitmänner) spüren, erleben und erfahren,
dass ich sie so achte und akzeptiere wie sie sind und es für sie möglich ist, hier und jetzt authentisch zu sein.
Das schließt dann individuelle Kleidungsstile ebenso ein, wie beispielsweise Gefühlsqualitäten wie etwa Hilflosigkeit oder Schwäche.
Das erweitertert die Spannbreite der Bewegung und wirkt möglicherweise auch in Bezug auf vermehrte Akzeptanz für männliches Crossdressings besser,
als wenn ich jetzt versuchen würde, entgegen meinen aktuellen inneren Bedürfnissen, vermehrt Nylon und Rock nach außen zu tragen.
Auch hier will ich lieber authentisch bleiben und soviel oder so wenig damit rausgehen wie mir eben ist, anstatt eine Art politisches "Soll" aufzubauen.
Insofern finde ich es auch völlig okay wenn du dich entscheidest bei der Schorle zu bleiben.

Mein Meister sagt: Im Kontakt zu deinen Mitmenschen entscheidet weniger deine äußere Erscheinung,
als vielmehr deine innere Haltung darüber, ob ihr euch in Akzeptanz oder in Angst begegnen werdet.
 
.... der zwar Wein predigt, aber meistens höchsten ne Schorle trinkt! :unsure:

das ist auch meine Herangehensweise, man muss nichts mit der Brechstange lösen.

Und es kann auch nicht verkehrt sein, sich langsam und bedacht an eine Sache heranzuwagen. Zu testen, wie die Wirkung auf andere ist, wie Reaktionen sein können und sind, wie man mit ihnen umgeht, und dies bedenkt bei der Wahl des Outfits und des Auftretens.

Der Anlass spielt natürlich auch eine große Rolle, und Fasching ist definitiv eine spezielle Zeit und Situation, die sich nicht unbedingt auf andere Situationen übertragen läßt. Die Reaktion der Umwelt und deren Toleranz auf einen ungewohnten Anblick ist im Fasching besonders groß und lässt sich dadurch nur bedingt auf andere Zeiten übertragen. Aber die Wirkung lässt sich in jedem Fall sehr gut testen, und dies war letztendlich auch meine Intention, in wie weit ist der Androgynlook auf mich anwendbar.

Fortsetzung:

An dem Faschingabend bin ich schließlich in der entschäften Verkleidungsversion zu der Party aufgebrochen.
Dort angekommen, erhielt ich schließlich gleich in den ersten Minuten eine sehr wertvolle Resonanz, von ein paar jüngeren vermutlich schon angetrunkenen Frauen. Wie es an Fasching so üblich ist, wird man häufig gefragt, was man denn darstellt mit seiner Verkleidung.
Diese jüngeren Damen kamen also, und eine meinte sofort, du siehst etwas aus wie Bon Jovi. Bon Jovi? Der hat doch irgenwie gar nichts Weibliches.
Wie konnte das sein? Lag es vielleicht am schummrigen Licht, und sie hatten an meinen breiten Schultern sofort erkannt, dass es sich um ein männliches Wesen handeln musste?
Ein Freund, mit dem ich mich dort verabredet hatte, und der ich dann bei Licht betrachtete, meinte nur zu meinem Makeup: Unglaublich, das sieht ja super aus, und was man mit Makeup alles machen kann. Tja, so viel konnte ich dann mit der Aussage auch nicht anfangen.
Eine andere Situation stimmte mich dann wieder etwas zuversichtlicher. Ich ging auf die Herrentoilette, und dann kam doch der Spruch, "du bist nicht richtig hier".
Aha!

Diese Erlebnisse an diesem Abend bestätigen in etwa das, was ich eigentlich schon vermutet habe.
Ich habe doch einige männliche Merkmale wie breite Schultern, leicht markantem Kinn und Gesichtszügen, die sich nicht so leicht verschleiern lassen, um androgyn zu wirken. Der Aufwand wird zumindest sehr groß.
Letztendlich ist mein Gesicht/Körper nicht für den Androgynlook prädestiniert.
Es bleibt dennoch immer die Möglichkeit, herumzuprobieren und diesem sich anzunähern.
Weitere Experimente werden folgen.

Meine Mitmenschen und deren Ansichten kann ich nur schwerlich beeinflussen. Meine Freunde kann ich mir aussuchen, allerdings die Menschen, die mir über den Weg laufen, nicht. Wenn ich meine Ruhe haben will, kann ich versuchen mich in deren Mainstream-Weltbild einzufügen. Der Androgynlook wäre denke ich ein Weg, dies zu tun, und sich dennoch auszuleben, falls er realisierbar ist. Klar wäre es mir auch lieber, der Mainstream würde sich ändern, und der ganze Aufwand wäre nicht nötig....aber ob ich das noch erleben werde?

Bernie
 
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