Heute in der Welt:
Werden wir bald mehr Männer in Leggings sehen?
Jenseits von Laufstrecken und Fahrrädern sieht man sie nur selten an Männerbeinen: Leggings waren lange Frauensache. Aber nach immer engeren Skinny Jeans und Jogginghosen erscheinen sie auch für Männer wie der nächste logische Schritt. Ist die Zeit reif dafür?
VON KATHARINA PFANNKUCH
Noch ist der Anblick mitunter gewöhnungsbedürftig
Copyright: Getty Images
Schwarz zu Kapuzenpulli und Mantel bei Miu Miu, Weiß unter Shorts bei MSGM, als Ersatz zur Hose zum weißen Sakko und Lackschuhen bei Helen Anthony, zu hohen Stiefeln bei Dolce & Gabbana, kombiniert mit Wadenwärmern und halbhohen Boots bei Gucci – und bei Skims, der Shapewearmarke von Kim Kardashian, zum nackten Oberkörper: So werden in den Kollektionen für diesen Herbst und Winter Leggings getragen. Wer jetzt an Frauenmode denkt, irrt: Die genannten Beispiele waren bei den Labels an Männern zu sehen. Genauer gesagt an Männerbeinen.
Wirklich überraschend ist dieser Trend nicht, findet Carl Tillessen, Geschäftsführer und Trendanalyst beim Deutschen Mode-Institut. Er beobachtet eine schrittweise Annäherung: „Jogginghosen sind in den letzten Jahren immer schmaler geworden. Gerade an den Waden sind sie zum Teil so eng geschnitten, dass man sich manchmal fragt: Ist das noch eine Jogginghose oder schon eine Leggings?“ Bisweilen erinnere der Schnitt an jenen von Reithosen. Das sehr erfolgreiche Nike-Modell „Slim-Fit Jogger Sweatpants“ sei ein gutes Beispiel dafür.
Komfort ist immer wichtiger
Woher rührt diese neue Offenheit gegenüber der schmalen Linie? Spätestens seit der Pandemie seien die modischen Übergänge fließender, so Tillessen. Das gelte nicht nur für die Grenzen zwischen männlicher und weiblicher Mode, sondern auch für jene zwischen Kleidung für zu Hause und außerhalb. „Kleidungsstücke, die vorher dem Häuslichen vorbehalten waren, sieht man jetzt auch auf der Straße. An Frauen und Männern.“ Die Jogginghose ist das textilgewordene Symbol dieses Phänomens. Nun bekommt sie eng anliegende Konkurrenz.
Schwarzes Modell zu rotem Sakko bei Helen Anthony
Copyright: Getty Images/Luke Walker/BFC
Und noch eine Nachwehe der Pandemie prägt den modischen Zeitgeist, zu dem Leggings sehr gut passen: Komfort ist immer wichtiger. Der Stretch-Anteil gerade in engen Kleidungsstücken wie der Skinny-Jeans wird immer höher. In der Folge lässt sich so manches Mal der Unterschied zwischen einer sehr engen Skinny Jeans und einer Leggings aus dickem Stoff kaum noch erkennen. Der Schritt zur Leggings wirkt also gar nicht groß. Dennoch gelang ihr an Männerbeinen noch nicht der ganz große Durchbruch.
Dabei sind Leggings schon seit Jahrzehnten immer wieder auf dem Laufsteg zu sehen. Jean Paul Gaultier schickte in den 80er-Jahren ein männliches Model in schwarz glänzenden Leggings zum Rock mit Federn und breitschultrigen Doppelreiher-Sakko auf den Laufsteg. Givenchy zeigte 2010 eine Kombination aus Leggings, Parka und Sandalen, alles ganz in Schwarz. Und seit 2012 war immer wieder von „Meggings“, also Leggings für Männer, die Rede; der Schauspieler Shia LaBeouf sorgte 2014 in einem knallpinken Model für Aufsehen. Jenseits von Laufstegen und Hollywood scheint die Männer-Leggings aber allenfalls als lange Unterhose bei eisigen Temperaturen oder als Sportbekleidung akzeptiert zu werden.
Mit Strumphosen-Assoziation bei Dolce & Gabbana
Copyright: Getty Images/Estrop
Und das, obwohl Männer in den vergangenen Jahrhunderten ganz selbstverständlich Strumpfhosen und bis zum Po reichende Strümpfe trugen. Die enden zwar nicht wie Leggings am Knöchel, schaffen aber nahezu dieselbe Silhouette. Bis zur französischen Revolution trugen Männer aus dem gehobenen Bürgertum und dem Adel sichtbare Strümpfe zu Kniebundhosen. Ihre Widersacher, die „Sansculottes“, traten in knöchellangen Hosen an. Immer stärker setzte sich ihre Silhouette durch; die eng anliegenden Strümpfe verschwanden zunehmend hinter Hosenbeinen. Die konnten im Laufe der Zeit auch extrem weit werden. Wer erinnert sich nicht an die ausufernden Herren-Silhouetten der 90er-Jahre?
Doch die große Beinfreiheit ist nicht immer praktisch. Und genau dieser Aspekt ist bei Männermode wichtig. Ist Funktionalität gegeben, schwindet die Skepsis – selbst gegenüber vermeintlicher Frauenkleidung (die in vielen Fällen ursprünglich Männern trugen): Das zeigt auch das Comeback der Handtasche für Männer. Wenn Hosentaschen wegen zu enger oder zu weiter Schnitte keinen sicheren Platz für Schlüssel, Geld und Smartphone bieten, ein Rucksack zu groß und eine Aktentasche zu förmlich ist, kommt die „Manbag“ ins Spiel. Mittlerweile hat man sich wieder an ihren Anblick gewöhnt.
An den Anblick gewöhnen
Bei Hosen boten – und bieten – in verschiedensten Bereichen von Militär bis Reitsport bei allzu viel um Fersen und Waden flatterndem Stoff Gamaschen Abhilfe. Sind sie hoch geschnitten, erinnert die Silhouette an so manchen Laufsteg-Look. Aber: „In unserem heutigen Leben spielt Funktionalität nur noch eine untergeordnete Rolle“, gibt Tillessen zu bedenken. Außer beim Sport. Beim Bergsteigen, Laufen oder auch auf dem Fahrrad sieht man Leggings schon jetzt auch an Männerbeinen. Ist das nicht ein günstiger Ausgangspunkt für eine Normalisierung dieses Anblicks? Tillessen hält es für möglich, dass sich Leggings mittelfristig auch bei Männern als straßentauglicher Standard etablieren können – wie bei Frauen. Daran ändert auch nichts, dass der „Meggings“-Rausch vor einigen Jahren schnell wieder abflaute: „Männer sind viel beharrlicher als Frauen, wenn es um die Silhouette geht. Sie beginnen jetzt zum ersten Mal seit gut 20 Jahren, wieder damit zu experimentieren.“
Bei Gucci geht das Experiment noch weiter. Hier werden zu Leggings Wadenwärmer kombiniert, passend zum Balletcore-Trend. Der kann, von Kopf bis Fuß adaptiert, auch kostümiert anmuten. Dieses Risiko ist in der Männermode geringer, meint Tillessen. Deshalb sei hier auch die Leggings so vielseitig einsetzbar: „Man legt sich weniger fest, sondern macht über das Styling Anspielungen. Mit Wadenwärmern erinnert der Look an die Ballett-Ästhetik, mit Lederstiefeln und -gürtel an jene von Western, mit Cargoshorts darüber sieht es nach Fahrradkurier aus.“
Den zukünftigen Weg der Leggings an Männern skizziert der Trendanalyst so: „Es wird ähnlich verlaufen wie bei den Frauen. Als sie anfingen, Leggings auf der Straße zu tragen, fragte man sich: Kommt sie gerade vom Yoga, oder ist sie auf dem Weg dorthin? Mittlerweile aber hat sich der Anblick so normalisiert, dass man sich so eine Frage gar nicht mehr stellt.“ Der klassische Gewöhnungseffekt. Werden wir also schon bald in Büro-Chefetagen statt schmalen Anzughosen an Männerbeinen Leggings sehen? In den nächsten fünf Jahren eher nicht, vermutet Tillessen. Der Trend werde zunächst vor allem von jungen Männern getragen. Das verheißt einiges: Auch an die wieder etablierte Herrenhandtasche wagten sich schließlich die Jungen zuerst.
© Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten
Werden wir bald mehr Männer in Leggings sehen?
Jenseits von Laufstrecken und Fahrrädern sieht man sie nur selten an Männerbeinen: Leggings waren lange Frauensache. Aber nach immer engeren Skinny Jeans und Jogginghosen erscheinen sie auch für Männer wie der nächste logische Schritt. Ist die Zeit reif dafür?
VON KATHARINA PFANNKUCH
Noch ist der Anblick mitunter gewöhnungsbedürftig
Copyright: Getty Images
Schwarz zu Kapuzenpulli und Mantel bei Miu Miu, Weiß unter Shorts bei MSGM, als Ersatz zur Hose zum weißen Sakko und Lackschuhen bei Helen Anthony, zu hohen Stiefeln bei Dolce & Gabbana, kombiniert mit Wadenwärmern und halbhohen Boots bei Gucci – und bei Skims, der Shapewearmarke von Kim Kardashian, zum nackten Oberkörper: So werden in den Kollektionen für diesen Herbst und Winter Leggings getragen. Wer jetzt an Frauenmode denkt, irrt: Die genannten Beispiele waren bei den Labels an Männern zu sehen. Genauer gesagt an Männerbeinen.
Wirklich überraschend ist dieser Trend nicht, findet Carl Tillessen, Geschäftsführer und Trendanalyst beim Deutschen Mode-Institut. Er beobachtet eine schrittweise Annäherung: „Jogginghosen sind in den letzten Jahren immer schmaler geworden. Gerade an den Waden sind sie zum Teil so eng geschnitten, dass man sich manchmal fragt: Ist das noch eine Jogginghose oder schon eine Leggings?“ Bisweilen erinnere der Schnitt an jenen von Reithosen. Das sehr erfolgreiche Nike-Modell „Slim-Fit Jogger Sweatpants“ sei ein gutes Beispiel dafür.
Komfort ist immer wichtiger
Woher rührt diese neue Offenheit gegenüber der schmalen Linie? Spätestens seit der Pandemie seien die modischen Übergänge fließender, so Tillessen. Das gelte nicht nur für die Grenzen zwischen männlicher und weiblicher Mode, sondern auch für jene zwischen Kleidung für zu Hause und außerhalb. „Kleidungsstücke, die vorher dem Häuslichen vorbehalten waren, sieht man jetzt auch auf der Straße. An Frauen und Männern.“ Die Jogginghose ist das textilgewordene Symbol dieses Phänomens. Nun bekommt sie eng anliegende Konkurrenz.
Schwarzes Modell zu rotem Sakko bei Helen Anthony
Copyright: Getty Images/Luke Walker/BFC
Und noch eine Nachwehe der Pandemie prägt den modischen Zeitgeist, zu dem Leggings sehr gut passen: Komfort ist immer wichtiger. Der Stretch-Anteil gerade in engen Kleidungsstücken wie der Skinny-Jeans wird immer höher. In der Folge lässt sich so manches Mal der Unterschied zwischen einer sehr engen Skinny Jeans und einer Leggings aus dickem Stoff kaum noch erkennen. Der Schritt zur Leggings wirkt also gar nicht groß. Dennoch gelang ihr an Männerbeinen noch nicht der ganz große Durchbruch.
Dabei sind Leggings schon seit Jahrzehnten immer wieder auf dem Laufsteg zu sehen. Jean Paul Gaultier schickte in den 80er-Jahren ein männliches Model in schwarz glänzenden Leggings zum Rock mit Federn und breitschultrigen Doppelreiher-Sakko auf den Laufsteg. Givenchy zeigte 2010 eine Kombination aus Leggings, Parka und Sandalen, alles ganz in Schwarz. Und seit 2012 war immer wieder von „Meggings“, also Leggings für Männer, die Rede; der Schauspieler Shia LaBeouf sorgte 2014 in einem knallpinken Model für Aufsehen. Jenseits von Laufstegen und Hollywood scheint die Männer-Leggings aber allenfalls als lange Unterhose bei eisigen Temperaturen oder als Sportbekleidung akzeptiert zu werden.
Mit Strumphosen-Assoziation bei Dolce & Gabbana
Copyright: Getty Images/Estrop
Und das, obwohl Männer in den vergangenen Jahrhunderten ganz selbstverständlich Strumpfhosen und bis zum Po reichende Strümpfe trugen. Die enden zwar nicht wie Leggings am Knöchel, schaffen aber nahezu dieselbe Silhouette. Bis zur französischen Revolution trugen Männer aus dem gehobenen Bürgertum und dem Adel sichtbare Strümpfe zu Kniebundhosen. Ihre Widersacher, die „Sansculottes“, traten in knöchellangen Hosen an. Immer stärker setzte sich ihre Silhouette durch; die eng anliegenden Strümpfe verschwanden zunehmend hinter Hosenbeinen. Die konnten im Laufe der Zeit auch extrem weit werden. Wer erinnert sich nicht an die ausufernden Herren-Silhouetten der 90er-Jahre?
Doch die große Beinfreiheit ist nicht immer praktisch. Und genau dieser Aspekt ist bei Männermode wichtig. Ist Funktionalität gegeben, schwindet die Skepsis – selbst gegenüber vermeintlicher Frauenkleidung (die in vielen Fällen ursprünglich Männern trugen): Das zeigt auch das Comeback der Handtasche für Männer. Wenn Hosentaschen wegen zu enger oder zu weiter Schnitte keinen sicheren Platz für Schlüssel, Geld und Smartphone bieten, ein Rucksack zu groß und eine Aktentasche zu förmlich ist, kommt die „Manbag“ ins Spiel. Mittlerweile hat man sich wieder an ihren Anblick gewöhnt.
An den Anblick gewöhnen
Bei Hosen boten – und bieten – in verschiedensten Bereichen von Militär bis Reitsport bei allzu viel um Fersen und Waden flatterndem Stoff Gamaschen Abhilfe. Sind sie hoch geschnitten, erinnert die Silhouette an so manchen Laufsteg-Look. Aber: „In unserem heutigen Leben spielt Funktionalität nur noch eine untergeordnete Rolle“, gibt Tillessen zu bedenken. Außer beim Sport. Beim Bergsteigen, Laufen oder auch auf dem Fahrrad sieht man Leggings schon jetzt auch an Männerbeinen. Ist das nicht ein günstiger Ausgangspunkt für eine Normalisierung dieses Anblicks? Tillessen hält es für möglich, dass sich Leggings mittelfristig auch bei Männern als straßentauglicher Standard etablieren können – wie bei Frauen. Daran ändert auch nichts, dass der „Meggings“-Rausch vor einigen Jahren schnell wieder abflaute: „Männer sind viel beharrlicher als Frauen, wenn es um die Silhouette geht. Sie beginnen jetzt zum ersten Mal seit gut 20 Jahren, wieder damit zu experimentieren.“
Bei Gucci geht das Experiment noch weiter. Hier werden zu Leggings Wadenwärmer kombiniert, passend zum Balletcore-Trend. Der kann, von Kopf bis Fuß adaptiert, auch kostümiert anmuten. Dieses Risiko ist in der Männermode geringer, meint Tillessen. Deshalb sei hier auch die Leggings so vielseitig einsetzbar: „Man legt sich weniger fest, sondern macht über das Styling Anspielungen. Mit Wadenwärmern erinnert der Look an die Ballett-Ästhetik, mit Lederstiefeln und -gürtel an jene von Western, mit Cargoshorts darüber sieht es nach Fahrradkurier aus.“
Den zukünftigen Weg der Leggings an Männern skizziert der Trendanalyst so: „Es wird ähnlich verlaufen wie bei den Frauen. Als sie anfingen, Leggings auf der Straße zu tragen, fragte man sich: Kommt sie gerade vom Yoga, oder ist sie auf dem Weg dorthin? Mittlerweile aber hat sich der Anblick so normalisiert, dass man sich so eine Frage gar nicht mehr stellt.“ Der klassische Gewöhnungseffekt. Werden wir also schon bald in Büro-Chefetagen statt schmalen Anzughosen an Männerbeinen Leggings sehen? In den nächsten fünf Jahren eher nicht, vermutet Tillessen. Der Trend werde zunächst vor allem von jungen Männern getragen. Das verheißt einiges: Auch an die wieder etablierte Herrenhandtasche wagten sich schließlich die Jungen zuerst.
© Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten